HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG27 JAN 2011
Die Werke von Niki de Saint Phalle brauchen viel Raum und sollen diesen im erweiterten Sprengel Museum bekommen. Doch noch fehlen für den Ausbau knapp zwei Millionen Euro an Drittmitteln.
In den sechziger und siebziger Jahren war Mitmachkunst besonders gefragt. Das Publikum sollte in Kunstaktionen einbezogen werden. Niki de Saint Phalle schuf als eine der wenigen Frauen in der damals noch stark männerdominierten Kunstwelt eindringliche Beispiele für Mitmachkunst, zum Beispiel ihr heute im Sprengel Museum Hannover befindliches Werk aus Hemd, Krawatte und einer Dartsscheibe mit dem vielsagenden Titel „Heiliger Sebastian oder Porträt meines Liebhabers“ von 1961. Das Publikum war aufgerufen, mit Pfeilen auf die Figur zu zielen – und tat das auch ausgiebig.
Aus dieser Phase stammt auch „Der Tod des Patriarchen“. Auch an der Figur aus Gips mit eingelegtem Kinderspielzeug – Gewehren, Soldatenpüppchen, Cowboys und kleinen Flugzeugen – durfte sich das Publikum abreagieren. Entsprechend mitgenommen sieht der Patriarchenstellvertreter heute aus. Freilich ist das Werk inzwischen eine Ikone der feministischen Kunst der Sechziger.
Die genannten „Schießbilder“ kamen im Jahr 2000 im Zuge der großzügigen Schenkung von Niki de Saint Phalle nach Hannover. Mit dem Einzug der Werke von Niki de Saint Phalle vor zehn Jahren wurde es endgültig eng im Sprengel Museum. Rund 400 Werke der populären Mutter der Nanas umfasst die Schenkung. Die großzügige Donation machte das hannoversche Museum auf einen Schlag zum wichtigsten Ort für die Kunst der 2002 verstorbenen Frankoamerikanerin.
Freilich stellten die zum Teil sperrigen Dinge aus Materialien wie Gips, Stoff oder Maschendraht das Haus auch vor Probleme – Platz- und Konservierungsprobleme.
Manches Werk ragt meterhoch auf (die Figur „Dolorès“ oder das „Nana-Haus“), anderes hängt vom Plafond oder füllt ganze Wände. Isabelle Schwarz, Kuratorin am Sprengel Museum, gibt eine ungefähre Vorstellung von den Ausmaßen: „Man könnte mit den Werken, wenn man die Papierarbeiten dazunimmt, die gesamten oberen Sammlungsräume plus die Wechselausstellungshalle füllen.“
Derzeit lagert das Gros der Werke in Depots innerhalb und außerhalb des Museums. Im erweiterten Museum werde die Schenkung nicht nur einen riesigen Lagerraum bekommen, sagt Museumsdirektor Ulrich Krempel, „sondern auch deutlich mehr Ausstellungsfläche“. Krempel möchte Niki de Saint Phalle im Kontext von Künstlern wie Daniel Spoerri oder Yves Klein zeigen. „Ich möchte, dass sie nicht mehr so verkitscht transportiert wird, wie das oft noch in den Köpfen der Leute geschieht.“
Viele denken bei Niki de Saint Phalle vor allem an die Nanas, ihre heiteren Matronen, die Künstlerin hatte sich aber in ihrer Jugend als zornige junge Frau einen Namen in der Kunstwelt gemacht. In einem Gedicht hatte sie 1961 erklärt: „Ich schoss auf Papa / alle Männer / kleine Männer / große Männer / bedeutende Männer / dicke Männer / Männer / meinen Bruder / die Gesellschaft / die Kirche / den Konvent / die Schule / meine Familie / meine Mutter / alle Männer / Papa / mich selbst / … ich schoss, weil / das Spaß machte und mich gut fühlen ließ …“
Aus heutiger Sicht mögen solche Abreaktionsaktionen etwas plakativ erscheinen – oder gar als terroristische Phantasien ausgelegt werden. Unbestritten aber kommt Niki de Saint Phalle das Verdienst zu, sich als eine der wenigen Frauen in der Kunst der sechziger Jahre eine Stellung erkämpft zu haben.
Und so wird heute vor allem ihrem Frühwerk eine Schlüsselrolle in der emanzipatorischen und feministischen Kunst zuerkannt. Das Sprengel Museum kann den Stellenwert der Kunstrebellin mit einer Fülle von Werken belegen. Es besitzt auch den Originalschießanzug und das Gewehr der bildschönen Gräfin mit dem Karabiner.
2012 beginnen die Arbeiten am 25 Millionen Euro teuren Erweiterungsbau. Derzeit fehlen noch knapp zwei Millionen Euro an Drittmitteln. Informationen zur Sponsoring-Kampagne „Mehr Museum“ gibt es unter www.mehr-museum-de.
Johanna Di Blasi, Hannoversche Allgemeine Zeitung
Image 1: „Heiliger Sebastian oder Porträt meines Liebhabers”, 1961. (© Handout)