Kunst überwindet Barrieren

WESER-KURIER ONLINE  27 FEBRUARY 2012
 
 

Volkshochschule und Friedehorst arbeiten zusammen: Skulpturen-Workshop für Behinderte und Nichtbehinderte

“Was können die Behinderten vergleichbar zu den Nicht-Behinderten leisten? Wo gibt es Schnittstellen?” Diese Fragen leiteten Ute Pahlow von der Volkshochschule in Bremen-Nord, als sie einem Angebot der Stiftung “Friedehorst” zustimmte. Es ging dabei darum, gemeinsam Kurse für behinderte und nichtbehinderte Menschen zu organisieren.

Bremen-Nord. Den Anstoß für eine solche Zusammenarbeit gab die Leiterin im Fachbereich Pädagogik in Friedehorst, Barbara Lohse-Meyer. Sie schlug einen Nana-Skulpturen-Workshop vor. Diese Anregung nahm Ute Pahlow gerne auf. In einem solchen Workshop gehe es weniger um zielorientiertes Lernen als vielmehr um freies künstlerisches Schaffen, sagte sie.

Die rundlichen und farbenfrohen Nanas der französisch-schweizerischen Künstlerin Niki des Saint Phalle üben einen optischen und haptischen Reiz aus. Sie können behinderte wie nichtbehinderte Menschen zu einer plastischen und schöpferischen Auseinandersetzung anregen. Indem beide Lerngruppen an der gleichen Aufgabenstellung arbeiteten, würde eine UN-Konvention ganz natürlich umgesetzt, wonach Behinderte am normalen gesellschaftlichen Leben beteiligt werden sollten, meinte Ute Pahlow. Hier finde ein “Austausch in Richtung Normalität” statt.

Teilnehmer zeigen Ausdauer

Der Kursus im Freizeittreff Friedehorst erstreckte sich über vier Termine. An jedem Sonnabend kamen in der Zeit zwischen 11 und 17 Uhr sechs behinderte und zwei nichtbehinderte Menschen zusammen, fünf Frauen und drei Männer. Die Leitung des Workshops übernahm Ute Osterloh, eine erfahrene Erzieherin, die sich schon seit 14 Jahren im Freizeitbereich engagiert.

Zu Beginn erzählte Ute Osterloh den Teilnehmern von der Bildhauerin Niki des Saint Phalle und ihren üppigen, quietschbunt bemalten Frauengestalten, die beispielsweise am Strawinski-Brunnen in Paris nahe dem Centre Pompidou oder an der Skulpturenmeile am Leibniz-Ufer in Hannover aufgestellt sind. Sie zeigte den Teilnehmern Fotos und ermunterte sie, selbst solche raumgreifenden Figuren zu zeichnen, um sie anschließend nach eigenen Vorstellungen farbig auszumalen.

Diese Zeichnungen zeigten vielgestaltige Ausformungen von Nana-Figuren. Sie dienten anschließend jedem Kursteilnehmer als Vorlage für die mannsgroße Figur, die er selbst erstellen sollte. Zunächst bastelte jeder ein Holzgestell, um ausgestreckte Arme oder angehobene Beine darzustellen. “Da leisteten die Teilnehmer richtiggehend Handarbeit”, erzählte Ute Osterloh. “Es wurde gesägt, geschraubt und gebohrt.”

Standfestigkeit erhielt das Lattengerüst durch einen Betonsockel, den die Teilnehmer in Farbeimern gegossen hatten. Um das Grundgerüst formten die Künstler dann Kaninchendraht, der schon die Proportionen sichtbar werden ließ. “Alles schön rund!” Die Drahtform wurde dann mit Zeitungspapier und “viel, viel Kleister” bedeckt und mit weißer Abtönfarbe angestrichen. Zum Schluss erhielt jede der acht Figuren ein Farbkostüm aus Acrylfarben, blau, grün, rot und gelb.

Die Kursleiterin zeigte sich erstaunt, dass besonders die behinderten Teilnehmer so lange durchgehalten haben. “Die Ausdauer, die sie aufgebracht haben, ist irre!” Sich über sechs Stunden zu konzentrieren, sei für diese Menschen eine große Energieleistung, stellte sie bewundernd fest. Natürlich wurden zwischendurch auch Pausen eingelegt, es gab Pizza und Tee. Aber wie sich jeder Besucher überzeugen konnte, waren die Künstler mit viel Freude bei der Sache. Sie jauchzten und lachten, erzählten und pfiffen sogar bei der Arbeit. Antonio und Jessica hockten und lagen mit dem Farbpinsel in der Hand auf dem Boden. Ayse bemalte ihre Nana vom Rollstuhl aus.

Zum Abschluss erhielten all die rundlichen Damen aus Holz, Draht und Pappmaché im farbenfrohen Gewand einen Anstrich aus Kunstharz, damit sie auch draußen aufgestellt werden können. Arnd (23) schenkt seine Figur dem “Papa” und Uschi (66) übergibt ihre Nana dem Haus 1 im Friedehorst. Wenn in jüngster Vergangenheit so viel über “Inklusion” diskutiert wurde, hier wurde sie praktisch verwirklicht.
 

 
— Peter Otto, Weser-Kurier Online